
„Frauen verboten“: Die Ansage der Werft ist eindeutig. Und doch steht da eine Frau in blauer Latzhose im riesigen Trockendock und füllt Öl auf. Der Werftmitarbeiter ist verwirrt. „Was machst du hier? Bist du Köchin an Bord?“, will er von Lea Seiffart wissen. Die Ostfriesin, groß, lange blonde Haare, reagiert gelassen. „Der meinte das gar nicht böse, er war neugierig. Ich habe ihm dann erklärt, dass ich Dritte Ingenieurin auf der ‚Sonne‘ bin – und dass in Europa auch Frauen an den Maschinen arbeiten“, erzählt sie schmunzelnd. Für den Werftarbeiter ein kaum vorstellbarer Frauenjob, für Lea Seiffart ein Traumjob.
Insgesamt zwei Monate lag das deutsche Forschungsschiff zur Zehn-Jahres-Klasse in Singapur in der Werft – das ist so etwas wie eine große TÜV-Hauptuntersuchung für Schiffe. „Die Antriebe wurden komplett rausgenommen, wir haben Tankbegehungen gemacht und uns das aufgedockte Schiff auch von unten angeschaut. So habe ich es aus ganz anderen Perspektiven kennengelernt und weiß nun genau, wo welche Ansaugungen sind – dadurch kann ich mir technische Zusammenhänge besser erschließen.“
Aus dem Büro aufs Meer
Ihre Begeisterung für Schiffe und Maschinen hat die heute 26-Jährige aber erst durch einen Zufall entdeckt. 2016 startet Seiffart nach ihrem Abi bei der Leeraner Reederei eine Ausbildung zur Schifffahrtskauffrau. Während eines Einsatzes in der Inspektionsabteilung wird ihr klar, wie sehr die Technik sie fasziniert. „Ich wollte da eigentlich schon meine Ausbildung abbrechen, aber mit der Personalchefin haben wir eine Lösung gefunden“, erzählt Seiffart. Sie wechselt in die reedereiinterne Werkstatt und macht dort eine Metallgrundausbildung. Parallel besucht sie weiter die Berufsschule, um ihre kaufmännische Ausbildung abzuschließen. „Ich hatte 2019 gerade das Zeugnis in der Hand, da bin ich schon an Bord der ‚Meteor‘ gegangen, um die Ausbildung zur Technischen Offiziersassistentin (TOA) zu beginnen“, sagt Seiffart lachend. Es ist ihre erste prägende Berührung mit einem Forschungsschiff. „Da wusste ich: Das will ich machen – und ich will keine Zeit verlieren.“


Ich hatte 2019 gerade das Zeugnis in der Hand, da bin ich schon an Bord der ‚Meteor‘ gegangen, um die Ausbildung zur Technischen Offiziersassistentin (TOA) zu beginnen.“
Lea Seiffart
Entbehrungsreiche Jahre
Parallel startet Seiffart das Studium zur Schiffsbetriebstechnik (SBT) – der schnellste Weg in die Ingenieurlaufbahn. Aber es sind auch harte Jahre. Um die nötigen Seefahrtzeiten zu sammeln, verbringt sie sogar ihre Semesterferien auf See. Ich wollte unterschiedliche Schiffstypen kennenlernen und war für Briese Schiffahrt auch auf Schwergut- und Mehrzweckfrachtern.“ Eine nicht immer einfache Situation: „Die Crew bestand überwiegend aus Russen und Ukrainern. Die waren recht verschlossen. Ich musste viel mit mir alleine klarkommen“, sagt Seiffart. Handwerklich und menschlich sei sie daran aber gewachsen. „Ich bin erwachsener und selbstständiger geworden und habe gelernt, zu improvisieren.“ Auch das Studium verlangt ihr vieles ab: Allein in einem Semester reißt sie 16 Module ab. Doch sie weiß, wofür sie es macht: Auf dem Forschungsschiff „Sonne“ wird ein Platz frei.
Auf der Sonnenseite
Im Juni 2023 hat sie den Bachelor in der Tasche. Anfang 2024 geht sie als Dritte Ingenieurin bei der „Sonne“ an Bord. Auf dem zehn Jahre alten Forschungsschiff ist sie für alle Hilfsanlagen zuständig. „Dazu zählen etwa die Abwasseranlage, die Trinkwasserproduktion, Kälteanlagen, Rudermaschinen und die Kessel zur Wärmeerzeugung“, erklärt Seiffart. Die Hierarchien sind kaum spürbar, das Miteinander herzlich: „Wir sind ein superjunges Team, jeder hat Lust, anzupacken und ist offen für Neues.“ An der Maschine ist sie die einzige Frau – blöde Kommentare gibt es nicht. „Aber du musst als Frau 120 Prozent geben, um 100 Prozent anerkannt zu werden“, betont sie.
Bei den Expeditionen ist sie allerdings bei Weitem nicht die einzige Frau an Bord. Zu der insgesamt 32-köpfigen Crew kommen bis zu 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. „Das ist etwas Besonderes. Wir begleiten die Forschung bei ihren Projekten, auf die sie sich jahrelang vorbereitet haben.“ Die Stimmung sei meist locker. Ein bisschen wie auf Klassenfahrt. „Alle sind happy, nach der ganzen Theorie endlich die Daten einzusammeln.“ Dafür geht es zu atemberaubenden Zielen wie Mauritius, Neuseeland oder Südafrika.

Lea Seiffart
Alter 26 Jahre
Arbeitet bei Briese Research
Maritime Erfahrung: Schifffahrtskauffrau,
TOA + SBT-Studium
Job-Highlights: Begleitung der Zehn-Jahres-Klasse im Dock
Forschung an Bord
Nach Feierabend tauschen sich Crew und Wissenschaft aus, schauen zusammen Filme oder gehen ins Gym. „Ich habe an Bord viele Freundinnen gefunden. Fast meine gesamte Mädelsclique in Kiel arbeitet beim Geomar“, erzählt sie. Auch Seiffarts Freund ist Forscher und hat großes Verständnis für ihre langen Einsätze auf See – in der Regel zwei bis drei Monate am Stück. Die kennt sie bis 2026 im Voraus. „Das ist in der Branche Luxus. Durch meine Zeit auf den Frachtern weiß ich das sehr zu schätzen“, so Seiffart.
Trotz der ganzen Annehmlichkeiten: „Es ist und bleibt harte Arbeit. Aber für mich gibt es keinen schöneren Job. Ich mag die Herausforderung.“ Am liebsten will Lea Seiffart in der Forschungsschifffahrt bleiben – und Leitende Ingenieurin werden. Sie hat ihre Berufung gefunden.


Briese Research
Seit 20 Jahren bereedert Briese Research, eine Abteilung der Reederei Briese, deutsche Forschungsschiffe. Die Leeraner kooperieren dabei mit internationalen Forschungseinrichtungen, kümmern sich um die Logistik, stellen qualifizierte Crews und beaufsichtigen den Bau von Neubauprojekten. Begleitet wird aktuell der Bau der „Meteor IV“. 125 Meter lang soll sie werden und 2026 in Fahrt gehen.
www.briese-research.de
Ozeanforschung. Die 118 Meter lange „Sonne“ lief 2014 bei der Meyer Werft vom Stapel. Eignerin ist die Bundesrepublik Deutschland,
bereedert wird sie von Briese Research.





