
Die Vereinigten Staaten streben eine erhebliche Erweiterung ihrer Handelsflotte an. Welche geopolitischen und wirtschaftlichen Ziele stehen hinter diesem Schritt – und welche Rolle spielt die maritime Souveränität für Washington in einer zunehmend instabilen Weltordnung?
Scott Woodard: Die Vereinigten Staaten sind sich bewusst, dass eine geschwächte maritime Industriebasis die nationale Sicherheit und die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit untergräbt. Der Ausbau der US-Handelsflotte ist eine strategische Reaktion auf jahrzehntelange Vernachlässigung und soll sicherstellen, dass wir unsere Macht projizieren, wichtige Handelsrouten sichern und unsere Abhängigkeit von Schiffen unter ausländischer Flagge verringern können, insbesondere in Krisenzeiten. Der Wiederaufbau der maritimen Industriebasis der USA wird Arbeitsplätze schaffen, das Wirtschaftswachstum ankurbeln und die Wettbewerbsfähigkeit von Schiffen unter US-Flagge im internationalen Handel sichern.
Insgesamt ist die maritime Souveränität von zentraler Bedeutung für die Politik der USA. Eine robuste heimische Flotte gewährleistet, dass die Vereinigten Staaten die Freiheit der Schifffahrt aufrechterhalten, Zwangsmaßnahmen von Gegnern entgegenwirken und ihre Führungsrolle im maritimen Bereich behaupten können.
Die aktuelle Handelspolitik der USA konzentriert sich auf Einfuhrzölle und Hafengebühren für in China gebaute Schiffe. Welche konkreten Auswirkungen erwarten Sie davon auf den internationalen Güterverkehr und den globalen Seehandel?
Scott Woodard: Die Regierung hat eine klare „America First“-Handelspolitik festgelegt, die darauf abzielt, Investitionen, Produktivität und nationale Sicherheit zu fördern und gleichzeitig amerikanischen Arbeitnehmern und Unternehmen Vorteile zu verschaffen. Die Einfuhrzölle und Hafengebühren sollen Anreize für Investitionen in den US-amerikanischen Schiffbau und die Logistikinfrastruktur schaffen. Auf lange Sicht wird dies die Widerstandsfähigkeit der globalen Lieferketten stärken, indem die Produktion von den übermäßig konzentrierten Quellen in China diversifiziert wird.
Es gibt Bedenken, dass solche Maßnahmen auch den transatlantischen Handel belasten könnten. Wie geht Ihre Regierung mit diesen Bedenken um – insbesondere in Bezug auf Partner wie Deutschland?
Scott Woodard: Sowohl die Vereinigten Staaten als auch Deutschland profitieren von einer sicheren und wettbewerbsfähigen maritimen Industrie. Durch koordinierte Anstrengungen können wir die Widerstandsfähigkeit globaler Lieferketten stärken und Chinas unfairen Praktiken entgegenwirken, die die Stabilität des internationalen Handels bedrohen.
Das Büro des US-Handelsbeauftragten hat im Januar 2025 einen Bericht über Chinas Bestrebungen, die Vorherrschaft im See-, Logistik- und Schiffbausektor zu erlangen, veröffentlicht. Er beleuchtet die ungeheuerlichen Strategien und Praktiken Chinas zur Dominanz im Seeverkehrssektor seit der Jahrtausendwende. Ich empfehle unseren deutschen Partnern dringend, diesen Bericht zu lesen.
Report on China‘s Targeting of the Maritime, Logistics, and Shipbuilding Sectors for Dominance
Angesichts wachsender geopolitischer Risiken gewinnt die Handelsschifffahrt aus sicherheitspolitischer Sicht zunehmend an Bedeutung. Wie wichtig ist sie für die strategische Widerstandsfähigkeit der Vereinigten Staaten – und wie wird diese Rolle gesichert?
Scott Woodard: Ein robuster Handelsschifffahrtssektor ist unerlässlich, um die strategische Autonomie zu wahren, Aggressionen abzuschrecken und sicherzustellen, dass die Vereinigten Staaten effektiv auf globale Herausforderungen reagieren können. In der im April erlassenen Durchführungsverordnung zur „Wiederherstellung der maritimen Vorherrschaft Amerikas” hat die Regierung die Schritte dargelegt, die wir zur Wiederbelebung unseres Handelsschifffahrtssektors unternehmen, darunter einen maritimen Aktionsplan, um sicherzustellen, dass wir unsere wirtschaftlichen und verteidigungspolitischen Bedürfnisse erfüllen können.
Wie können die USA und Deutschland angesichts der globalen Spannungen zusammenarbeiten, um stabile, sichere und wettbewerbsfähige Seehandelsrouten zu gewährleisten – politisch, wirtschaftlich und militärisch?
Scott Woodard: Die Vereinigten Staaten und Deutschland können zusammenarbeiten, indem sie ihre Seehandelspolitik aufeinander abstimmen, um Chinas Dominanz in diesem Sektor entgegenzuwirken. Darüber hinaus müssen die Vereinigten Staaten und Deutschland eine ausgewogene Beziehung – politisch, wirtschaftlich und militärisch – aufbauen, um Gegnern auf den Weltmeeren entgegenzuwirken. Dazu gehören Chinas Dominanz in der Schifffahrt und in den Häfen, hybride Kriegsführung und direkte Bedrohungen im Roten Meer.




