Weltweit werden jährlich etwa 700 Seeschiffe außer Dienst gestellt. Die Zahl schwankt abhängig von der Konjunktur auf den Schifffahrtsmärkten und den Preisen für gebrauchten Stahl. Etwa 90 % dieser alten Schiffe werden in Südasien, insbesondere in Pakistan, Bangladesch und Indien recycelt. Tausende Arbeitsplätze in den Werften und im nachgelagerten Dienstleistungssektor hängen in diesen Ländern von der Schiffsrecycling-Industrie ab. Der aus den Schiffen gewonnene Gebrauchtstahl ist ein geschätzter Rohstoff. Allein in Bangladesch decken die Recyclingwerften geschätzte 80 % des Stahl-Rohstoffbedarfs des gesamten Landes. Das Recycling der Schiffe ist somit ein Wirtschaftsfaktor, nicht nur für europäische Schiffseigner, sondern insbesondere für diejenigen Länder, die ihren Stahlbedarf über das Recyceln von alten Schiffen sicherstellen.
Aber nicht nur der Schiffsstahl findet eine neue Bestimmung im Rahmen des Recyclings. Nahezu das ganze Schiff wird wiederverwertet: Lampen, Anker und andere Komponenten aus den Schiffen finden neue Verwendungen und werden weiter veräußert. Nur einzelne Reststoffe müssen fachgerecht entsorgt werden.
Nachhaltiges Recycling weltweit verbindlich
Um beim Zerlegen und anschließenden Recyceln der Schiffe hohe und weltweit einheitliche Sicherheits- und Umweltstandards zu gewährleisten, haben die Mitgliedstaaten der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation IMO schon im Jahr 2009 das sogenannte Hongkong-Übereinkommen für das sichere und umweltfreundliche Abwracken von Schiffen verabschiedet. Abwrackwerften sollen danach umfassend auf Arbeitssicherheit und Umweltschutz von den unabhängigen Klassifizierungsgesellschaften zertifiziert werden. Reedereien werden verpflichtet, Inventarlisten der an Bord vorhandenen Schadstoffe anzufertigen. Kontrolliert werden diese Verpflichtungen im Rahmen der weltweiten Hafenstaatskontrollen. Das Hongkong-Übereinkommen setzt damit einen international einheitlichen und hohen Standard für umweltfreundliches und sicheres Recycling, sowohl in den Werften als auch auf den Schiffen, vom Bau über das gesamte ökonomische Leben bis zur Verwertung. Das Übereinkommen ist allerdings noch nicht in Kraft getreten.
Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten haben das Hongkong-Übereinkommen geprüft und sind zu dem Ergebnis gelangt, dass es ein wirkungsvolles Kontroll- und Durchsetzungsniveau für hohe Umwelt- und Sicherheitsstandards beim Recycling von Schiffen bietet. Zudem hat der Rat der Europäischen Union den Mitgliedstaaten ausdrücklich nahegelegt, das Übereinkommen vorrangig zu ratifizieren, damit es in der Praxis so bald wie möglich eine echte und wirksame Verbesserung herbeiführen kann. Auch die Vertragsparteien des Basler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung haben sich dieser Bewertung angeschlossen und fordern seit Jahren nachdrücklich die zeitnahe Ratifizierung des Hongkong-Übereinkommens.
Die Schifffahrtsindustrie wirbt ebenfalls proaktiv schon seit 2009 für eine zügige Inkraftsetzung des Hongkong-Übereinkommens und wendet dessen Grundregeln auf freiwilliger Basis über eigene Leitlinien – die Guidelines on Transitional Measures for Shipowners Selling Ships for Recycling – bereits heute an.